Lehre aus der Corona-Pandemie: Gewappnet für Krisen?

Die nächste Katastrophe wird kommen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung plädiert für einen „Krisenradar“, um vorbereitet zu sein.

Eine teilweise überschwemmte Landstraße in einer Wiesenlandschaft

Natur­katastrophen lassen sich nicht verhindern, umso wichtiger ist es, darauf vorbereitet zu sein Foto: Olaf Döring/imago

BERLIN taz | Eine Krise: anpacken, bewältigen, fertig. Das war einmal. Inzwischen leben wir in Zeiten multipler und systemischer Krisen, die sich gegenseitig antreiben und nicht mehr aufhören wollen: Klima, Corona, Krieg, Inflation, Welternährung, Lieferketten. Der Thinktank des Bundestages, das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB), arbeitet an einem „Krisenradar“ für die Politik, um besser für Umbrüche gewappnet zu sein. In dieser Woche gab das Wissenschaftsgremium Einblick in seine Arbeit.

Ein wesentliches Problem, um zu mehr „Resilienz“ – dem neuen Modewort für Widerstandsfähigkeit gegen Krisen – zu gelangen, liegt in der unterschiedlichen Wahrnehmungsschwelle der Akteure. Die Politikwissenschaftlerin Ilona Kickbusch ist Mitglied im „Global preparedness monitoring board“ (GPMB) von Weltgesundheitsorganisation WHO und Weltbank. „Im September 2019 haben wir einen Bericht vorgelegt, wonach eine weltweite Pandemie zu erwartet ist“, berichtete sie am Mittwoch im Bundestag. „Aber keiner hat sich dafür interessiert“, so ihr frustrierter Rückblick.

Drei Monate später kam es tatsächlich zum Corona-Ausbruch in China. Krisen werden künftig häufiger kommen, sagte Kickbusch mit Blick auf den Gesundheitsbereich voraus. Wichtig dabei sei, dass in der „Preparedness“ – dem Vorbereitetsein – auch die Ausstattung für eine „schnelle Response“ enthalten sei.

Die Problemsicht von der anderen Seite brachte die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und langjährige Vorsitzende des Forschungsausschusses Ulla Burchardt ein. Sie gab unumwunden zu, dass die inzwischen legendäre Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) über eine mögliche Pandemiesituation in der Bundesrepublik aus dem Jahre 2013 von ihr nicht wahrgenommen worden sei.

„2020 musste ich feststellen: das wusste ich nicht“, so die Politikerin. Im Wust der täglichen Detailinformationen, die auf die Abgeordneten einprasseln, war diese wichtige Basisorientierung untergegangen. „An der Lücke zwischen wissenschaftlichen Informationen und politischen Entscheidungen muss gearbeitet werden“, bekräftigte Burchardt. Sie regte eine Folgeuntersuchung darüber an, wie viele der RKI-Vorschläge von 2013 heute schon realisiert worden seien.

Potenzielle Gefahren erkennen

Das Konzept des Krisenradars erläuterten Siegfried Behrendt und Michaela Evers-Wölk vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) als Konsortialpartner des TAB. Zwar gebe es eine ganze Reihe verschiedener Frühwarnsysteme von Behörden, Mittels Kennzahlen und Indikatoren sollen frühzeitig potenzielle Gefahren, Bedrohungen und Risiken identifiziert werden. „Mit der Digitalisierung bieten sich neue Möglichkeiten für effektivere Erhebungs-, Auswertungs- und Modellierungsverfahren der Frühwarnung“, so die IZT-Experten.

Bei der konkreten Untersuchung der Abläufe der Coronapandemie in Deutschland seit 2020 traten dann erhebliche Defizite zutage, die einer angestrebten Resilienz im Wege stehen. Unzureichend ist etwa die Datengewinnung für eine Bewertung des Realzustandes, betonte Evers-Wölk. Die Inzidenzzahlen, basierend auf den Meldedaten der Gesundheitsämtern, enthielten eine zu große Dunkelziffer unerkannter Fälle.

Besser wäre eine nationale Teststrategie bei einer Bevölkerungs-Stichprobe nach britischem Vorbild. Auch andere Techniken zur Messung der Virusverbreitung, wie „abwasserbasierte Systeme“, könnten zur mehr Präzision und Schnelligkeit führen. Ohne Echtzeitdaten sei eine Krisenabwehr nicht möglich.

Teil des IZT-Krisenradars ist auch eine repräsentative Bevölkerungsumfrage unter 1.098 Bürgern im März 2022. Danach hat die deutliche Mehrheit der Befragten die Coronapandemie nach eigener Einschätzung gut oder eher gut bewältigt. Die stärksten persönlichen Belastungen wurden in der Einschränkung sozialer Kontakte gesehen. 52 Prozent litten darunter. Die eingeschränkten Freizeit- und Reisemöglichkeiten waren dagegen nur für 30 Prozent ein schmerzlicher Verlust.

Fast die Hälfte der Befragten gab an, während der Coronapandemie „neue Alltagsroutinen entwickelt zu haben“, stellte die Studie fest. Zu den Beispielen, die auch nach der Coronapandemie beibehalten werden sollen, zählen einfache Hygiene­regeln im Alltag wie das Tragen von Masken, das häufige Händewaschen oder das bewusste Abstandhalten im öffentlichen Raum. Gegenüber dem Staat zeigten mehr als zwei Drittel der Befragten während der Coronapandemie Verständnis für Politik und Verwaltung. 67 Prozent waren auch mit der zeitweisen Einschränkung von Freiheitsrechten einverstanden.

Eine relevante Frage: Welche Sorgen löst die Krise aus?

Wichtig für die Einschätzung anderer Krisen war die Ermittlung einer „Rangliste der Sorgen“. Dabei ängstigen soziale Krisen die Menschen mehr als Naturkatastrophen. Mit 75 Prozent bereiten „Konflikte zwischen Staaten“ den meisten Menschen Sorge. Es folgt mit 60 Prozent der soziale Unfrieden im eigenen Land und mit 58 Prozent die Sorge vor zunehmender Des- und Falschinformation. Das Scheitern der Klimamaßnahmen sorgt 45 Prozent der Menschen noch vor den 42 Prozent, die Angst vor der Flüchtlingskrise haben.

Bei den durch die Natur verursachten Krisen gilt die größte Sorge mit 42 Prozent den Unwettern und extremen Wetterereignissen vor Waldbränden mit 22 Prozent. Erstaunlicherweise kommen in dieser Kategorie Wildseuchen (Corona stammt von der Fledermaus) nur auf 17 Pozent Besorgnis. Unter den Technikkrisen rangieren der Ausfall von kritischen Infrastrukturen („Blackout“) und die Cyberkriminalität mit 44 Prozent beide auf dem gleichen Besorgnis-Level, vor einer Nuklear­explosion mit immerhin noch 41 Prozent.

„Die Ergebnisse der Befragung zeichnen ein Gesamtbild, das überwiegend von Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in Dritte, von Anpassungsfähigkeit sowie von Bewältigungsstrategien in Krisenzeiten gezeichnet ist“, bewerten die IZT-Projektleiter die Umfrage. Trotzdem werde deutlich, „dass gesellschaftliche Gruppen wie Kinder, Familien und Ältere, gewisse Wirtschaftsbereiche, aber auch die Allgemeinheit insgesamt als Verlierer der Coronapandemie eingestuft werden“.

Das Projekt „Krisenradar“ läuft noch bis 2023 und soll in anderthalb Jahren fertiggestellt sein. Vier weitere Studien wurden vergeben, die helfen sollen, die zwei zentralen Leitfragen zu beantworten: Welche Defizite bestehen bei der Früherkennung von systemischen Bedrohungen? Und welche Instrumente, Einrichtungen und Konsultationsmechanismen im politischen Raum müssten verbessert oder erst noch geschaffen werden, um eine zügige, umfassende und nachhaltige Reaktion auf krisenhafte Ereignisse zu gewährleisten?

„Um künftig besser auf das Auftreten von globalen Schocks vorbereitet zu sein, ist ein permanentes und globales Frühwarnsystem notwendig, das mögliche Risiken und Gefahren frühzeitig erkennt und damit ein vorausschauendes Krisen- und Risikomanagement ermöglicht“, hob IZT-Behrendt den keineswegs nur national ausgerichteten Forschungsansatz hervor.

Schon jetzt zeichnet sich für die Politik ab – das zeigte das Gespräch in dieser Woche –, sich verstärkt um eine bessere Infrastruktur für Krisenresilienz zu kümmern. Der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek schlug vor, im nächsten Bundeshaushalt den generellen Etatposten „Krisenprävention“ einzuführen. „Wenn man keinen Haushalts­titel hat, ist man in der Politik nichts wert“, war seine Erfahrung.

Die zweite große Baustelle ist die Veränderung des „Mindsets“, die Schaffung eines „Krisenbewusstseins“

Die zweite große Baustelle ist die Veränderung des „Mindsets“, die Schaffung eines „Krisenbewusstseins“. Die Weltfinanzkrise 2008 – obschon ein gewaltiger öknomischer Schock – habe „nicht ausgereicht, um uns aufzurütteln“, sagte TAB-Leiter Armin Grunwald. „Wir hatten uns daran gewöhnt, dass es nach einer Reparatur, immer weiter glatt läuft.“ Diese Weiter-so-Mentalität sei mit der Coronapandemie durchbrochen worden. Die einstige „Wird schon werden“-Sorg­losig­keit müsse in Zeiten der Resilienz von einer „Kultur der Prävention“ abgelöst werden.

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